Raus aus dem Digi-Tal?
Als ich 1990 die Meisterschule antrat, war die Computertechnik noch in den Kinderschuhen. Genau betrachtet sogar noch in den Windeln. Wir hatten gerade die Rechner mit 240 MB Speicher – Festplatte wohl gemerkt. Die 286er konnten eigentlich nichts. Aber es war der Stand der Technik. In der Schule war die Digitalisierung des Handwerks tatsächlich aber schon ein Thema. Kaum zu glauben bei den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Ich kann mich noch gut an den 286er Rechner und den 13 Zoll Bildschirm für zusammen knapp 5.000 Mark erinnern. Mein Ausbildungsbetrieb hatte damals noch eine elektrische Schreibmaschine und ein Fax mit Thermopapier. Es war also noch deutlich Luft nach oben im Handwerk.
Heute, über drei Jahrzehnte später ist Digitalisierung immer noch das Thema. Digitalisierung, Digitalisierung, Digitalisierung. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass das Handwerk immer noch die elektrische Schreibmaschine benutzt.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mich nervt das Thema.
Mich nervt, dass es überhaupt noch ein Thema ist. Natürlich weiß ich, dass es in einem modernen Handwerksunternehmen unabdingbar ist gewisse Aufgaben und Vorgänge digital zu gestalten. Das erleichtert und vereinfacht Vieles. Und versperrt oft den Blick auf das am Ende Wesentliche.
Die Abläufe in einem modernen Handwerksunternehmen sind vielfältig. Die Anforderungen an die betriebliche Organisation sind gestiegen. Und sie steigen weiter.
Ich erinnere mich noch gut an meinen Lehrbetrieb. Stundenzettel gabs da nicht, Materialbeschaffung basierte auf Zuruf und eine Ablauforganisation, Zeitvorgaben, projektorientierte Lagerhaltung oder ähnliches (wir kannten damals, Anfang der 80er Jahre, nicht mal die Begriffe!) gab es einfach nicht. Alles geschah auf eine „organische“ Art und Weise. Außer der Gewinn, der geschah leider nicht. Das erfuhr ich als ich die Tochter des Chefs heiratete.
Unterorganisiert würde ich das heute bezeichnen. Massiv unterorganisiert und deshalb auch untererfolgreich.
Die meisten Handwerksunternehmer sind heute, vier Jahrzehnte später, digital gut aufgestellt. Geeignete Software gibts von verschiedenen Anbietern, die Computer können heute schon deutlich mehr (richtig gut wirds erst mit Sprachsteuerung) und die Vernetzung mit Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden ist schon fast grenzenlos.
Trotzdem höre ich viele Handwerksmeister klagen. Volle Auftragsbücher aber zu wenig Mitarbeiter. Viele Kundenanfragen aber zu wenig Zeit (Lust?!) diese zu bearbeiten und wenig bis keine Freizeit. Am Ende auch noch ein wenig befriedigendes Bankkonto. Und das trotz umfangreicher Digitalisierung?
Oder gerade deswegen? Ist es vielleicht die Konzentration auf die digitale Welt? Auf den vermeintlichen Heilsbringer?
Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit einem wirklich interessanten Unternehmer. Sein Geschäftsmodell: Er kauft relativ große, wirtschaftlich marode Autohäuser, optimiert die innerbetrieblichen Vorgänge und macht sie damit erfolgreich. Auf meine Nachfrage was er da wirklich tut und ob das ohne Änderung in der Belegschaft ginge, bekam ich eine längere Erklärung über die Arbeitsweise von Autohäusern. Am Ende stand die Aussage, dass in den meisten Fällen nur die Abläufe, Aufgabenverteilung und Verantwortungsbereiche geändert wurden. Kein Wort von Digital oder Computer. Computer sind ein Werkzeug, welches zur Grundausstattung gehört. Hemmnisse und Schwierigkeiten entstehen in der realen Welt, nicht in der Digitalen.
Also mit der Umstellung der Arbeitsweise und der betrieblichen Abläufe raus aus der Verlustzone?
Ich glaube in unserem Handwerk gibt es viele Unternehmen, die zu wenig Geld verdienen, weil sie nicht gut genug organisiert sind. Weil oft ein Konzept fehlt. Das hat auch nichts mit Digitalisierung zu tun. Da geht es einfach um die Selbstorganisation und die Betriebsorganisation. Es hilft schon mal den Blick auf das Ganze zu lenken, von außen den Blick auf das betrieblich Konstrukt zu werfen und Möglichkeiten zur Optimierung zu erkennen. Ob Sieg oder Niederlage, Verlust oder Gewinn – es hängt oft nur an ein paar Stellschrauben. Der Computer wird diese Schrauben nicht verstellen. Das geht nur in der realen Welt.
Denn am Ende bekommen wir die Farbe nicht per WhatsApp an die Wand.
Robert Paulus